Beschluss vom 11.07.2024 -
BVerwG 10 B 1.24ECLI:DE:BVerwG:2024:110724B10B1.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.07.2024 - 10 B 1.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:110724B10B1.24.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 1.24

  • VG Berlin - 25.11.2022 - AZ: 2 K 195/21
  • OVG Berlin-Brandenburg - 07.09.2023 - AZ: 12 B 3/23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juli 2024
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Rublack und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und Dr. Günther
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. September 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Kläger begehren Informationszugang im Zusammenhang mit der sog. Pkw-Maut. Das Verwaltungsgericht gab der Klage im Wesentlichen statt. Im Berufungsverfahren haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise übereinstimmend für erledigt erklärt. Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Insbesondere könne sie sich nicht mit Erfolg auf den Ausschlussgrund zum Schutz der Durchführung eines laufenden Gerichtsverfahrens gemäß § 3 Nr. 1 Buchst. g IFG berufen. Die Revision gegen sein Urteil hat das Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.

II

2 Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.

3 Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beklagten beigemessene grundsätzliche Bedeutung.

4 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 25. Oktober 2019 - 1 B 72.19 - juris Rn. 2). Diesen Maßgaben genügt das Beschwerdevorbringen nicht. Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.

5 1. Den Fragen,
"Hat ein Informationszugang bereits dann nachteilige Auswirkungen auf die Entscheidungsfreiheit und Unabhängigkeit eines Schiedsgerichts im Sinne von § 3 Nr. 1 lit. g) Var. 1 IFG, wenn die in Frage stehenden Informationen unmittelbar Gegenstand und Inhalt eines (laufenden) Schiedsverfahrens sind? Wird durch § 3 Nr. 1 lit. g) Var. 1 IFG die ausschließliche Kompetenz der Schiedsgerichte und Schiedsparteien geschützt, allein darüber entscheiden zu können, ob und in welchem Umfang sie Informationen im (laufenden) Schiedsverfahren zugänglich machen?",
kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

6 a) Die erste Teilfrage ist nicht klärungsbedürftig, weil das Bundesverwaltungsgericht über sie schon entschieden hat.

7 Gemäß § 3 Nr. 1 Buchst. g IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen haben kann auf die Durchführung eines laufenden Gerichtsverfahrens, den Anspruch einer Person auf ein faires Verfahren oder die Durchführung strafrechtlicher, ordnungswidrigkeitsrechtlicher oder disziplinarischer Ermittlungen. Das Bundesverwaltungsgericht hat bezogen auf das Schutzgut der staatlichen Strafrechtspflege im Sinne von § 3 Nr. 1 Buchst. g Var. 3 IFG ausgeführt, dass das Bekanntwerden der Informationen nachteilige Auswirkungen hierauf haben kann, wenn aufgrund der konkreten Umstände deren Beeinträchtigung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies erfordert eine auf konkreten Tatsachen beruhende prognostische Bewertung (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. November 2012 - 7 C 1.12 - Buchholz 404 IFG Nr. 10 Rn. 38 ff. und vom 27. November 2014 - 7 C 18.12 - Buchholz 404 IFG Nr. 13 Rn. 17). Dieser Maßstab ist ohne Weiteres auf das Schutzgut der Rechtspflege im Sinne von § 3 Nr. 1 Buchst. g Var. 1 IFG übertragbar.

8 § 3 Nr. 1 Buchst. g IFG dient dem Schutz der Rechtspflege gegen Beeinträchtigungen durch das Bekanntwerden verfahrensrelevanter Informationen. Der Versagungsgrund schützt die Ordnungsgemäßheit der Durchführung von Gerichtsverfahren und bestimmter Verwaltungsverfahren. Geschützt sind dagegen nicht verfahrens- und materiell-rechtliche Positionen der öffentlichen Hand (BVerwG, Beschluss vom 9. November 2010 - 7 B 43.10 - Buchholz 400 IFG Nr. 3 Rn. 12 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1999 - 7 C 32.98 - BVerwGE 110, 17 <23> zur Parallelregelung des § 7 Abs. 1 Nr. 2 UIG a. F., § 8 Abs. 1 Nr. 3 UIG n. F.; OVG Münster, Urteil vom 5. Mai 2017 - 15 A 1578/15 - juris Rn. 159; Schirmer, in: BeckOK, Informations- und Medienrecht, Gersdorf/Paal, 44. Edition, 1. Mai 2024, § 3 Rn. 105 f. Die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts gelten allgemein für den Schutz der Rechtspflege gegen Beeinträchtigungen durch das Bekanntwerden verfahrensbedeutsamer Informationen und somit auch für das Schiedsverfahren. Dies gilt auch für die Annahme, dass nachteilige Auswirkungen zu besorgen sind. Es hat eine prognostische Einschätzung tatsächlicher Verhältnisse zu erfolgen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2016 - 7 C 7.14 - Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 65 Rn. 26). Insoweit kann diese Frage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 2023 - 10 BN 1.23 - juris Rn. 8 und vom 18. April 2024 - 6 B 68.23 - juris Rn. 11).

9 b) Die zweite Teilfrage rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Auf sie kam es vor dem Oberverwaltungsgericht nicht an. Ob und in welchem Umfang ein Schiedsgericht Informationen zugänglich macht, richtet sich nach dem jenem Schiedsverfahren zugrunde liegenden Verfahrensrecht. Dies ist vorliegend die Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. (DIS-SchiedsO). Nach dessen Art. 28 stellt das Schiedsgericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt auch durch eigene Ermittlungen fest. Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Beklagte keine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit nachteiliger Auswirkungen auf das Schutzgut, mithin auf die ordnungsgemäße Durchführung des Schiedsverfahrens, dargelegt hat (UA S. 21 f.). Danach ist nichts dafür ersichtlich, dass der Ablauf des Schiedsverfahrens durch den begehrten Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz beeinträchtigt wird. Die Kompetenz des Schiedsgerichts, über die Vorlage von Dokumenten nach Art. 28 DIS-SchiedsO zu entscheiden, bleibt gewahrt. Demgegenüber kann der Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen genutzt werden, um erlangte Informationen in einem Verfahren mit dem Anspruchsgegner einzuführen. Der Rechtsfrage kommt danach keine entscheidungserhebliche Bedeutung für das erstrebte Revisionsverfahren zu.

10 2. Die weiteren Rechtsfragen,
"Hat ein Informationszugang nachteilige Auswirkungen im Sinne von § 3 Nr. 1 lit. g) Var. 1 IFG, wenn dadurch der ordnungsgemäße Ablauf und die Effektivität des (laufenden) Schiedsverfahrens betroffen sind (vgl. Art. 28.2 DIS-SchiedsO i. V. m. den IBA Rules)? Wann liegt eine Störung des ordnungsgemäßen Ablaufs und der Effektivität des Schiedsverfahrens vor, welche die Annahme von nachteiligen Auswirkungen im Sinne von § 3 Nr. 1 lit. g) Var. 1 IFG rechtfertigt?",
rechtfertigten gleichfalls nicht die Zulassung der Revision.

11 Die erste Teilfrage ist nicht fallübergreifend klärungsbedürftig. Ob wegen eines Informationszugangs nachteilige Auswirkungen zu besorgen sind, lässt sich nur im jeweiligen Einzelfall beantworten. Sie zielt nicht auf die Klärung eines abstrakten Rechtsmaßstabs, sondern auf die tatrichterliche Würdigung einer Kollisionslage zwischen einem Informationszugangsanspruch und Regelungen aus Art. 28 DIS-SchiedsO i. V. m. den Regeln zur Beweisaufnahme in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (IBA Rules). Eine generelle Klärung, wie von der Beschwerde verlangt, kommt deshalb nicht in Betracht. Dies gilt auch für die zweite Teilfrage.

12 3. Auch die dritte Rechtsfrage,
"Hat ein Informationszugang nachteilige Auswirkungen im Sinne von § 3 Nr. 1 lit. g) Var. 1 IFG, wenn durch den Informationszugang erheblicher (medialer) Druck auf das Schiedsgericht zu befürchten ist und/oder ausgeübt wird? Wann ist ein solcher erhebliche(r) Druck anzunehmen?",
führt nicht zur Zulassung der Revision.

13 Sie ist nicht entscheidungserheblich. Mit der Annahme einer Drucksituation unterstellt die Beschwerde Tatsachen, die das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat.

14 Im Übrigen stellt die Beschwerde wiederum keine verallgemeinerungsfähige Frage. Es geht nicht um die Beurteilung eines abstrakten Rechtsmaßstabs, sondern um die tatrichterliche Würdigung von Auswirkungen im Sinne des Versagungsgrundes. Damit wird keine in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage aufgeworfen. Es kommen zahlreiche Fallgestaltungen in Betracht, in denen der ordnungsgemäße Ablauf eines Verfahrens beeinträchtigt sein kann. Die Beantwortung hängt von der Würdigung der Umstände des konkreten Falls ab.

15 4. Auch die weitere Rechtsfrage,
"Welches Ausmaß müssen die Auswirkungen haben, damit sie die Voraussetzung von 'nachteilige(n) Auswirkungen' im Sinne von § 3 Nr. 1 lit. g) Var. 1 IFG auf ein laufendes Schiedsverfahren erfüllen?",
führt nicht zur Zulassung der Revision.

16 Es ist geklärt, welches Ausmaß nachteilige Auswirkungen im Sinne des § 3 Nr. 1 Buchst. g Var. 1 IFG haben müssen. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass "nachteilige Auswirkungen" auf die Schutzgüter des § 3 Nr. 1 IFG eine "Beeinträchtigung von gewissem Gewicht" erfordern (BVerwG, Urteil vom 15. November 2012 - 7 C 1.12 - Buchholz 404 IFG Nr. 10 Rn. 39).

17 5. Schließlich rechtfertigt auch die fünfte Rechtsfrage,
"Welche Anforderungen sind an eine Darlegung nachteiliger Auswirkungen auf das konkrete Schiedsverfahren durch die Herausgabe der Informationen nach § 3 Nr. 1 lit. g) Var. 1 IFG zu stellen - insbesondere vor dem Hintergrund einer Geheimhaltungsverpflichtung nach Art. 44.1 DIS-SchiedsO?",
nicht die Zulassung der Revision.

18 Die Frage ist höchstrichterlich geklärt. Die Beklagte verweist selbst auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Darlegungsanforderungen im Hinblick auf die Geltendmachung von Versagungsgründen gegenüber Informationszugangsansprüchen. Danach sind die dem Informationszugangsanspruch entgegenstehenden Versagungsgründe von der informationspflichtigen Behörde nachvollziehbar und plausibel darzulegen (etwa BVerwG, Urteile vom 17. März 2016 - 7 C 2.15 - BVerwGE 154, 231 Rn. 17 und vom 15. Dezember 2020 - 10 C 24.19 - NVwZ 2021, 642 Rn. 16). Dieser Darlegungsmaßstab gilt auch für § 3 Nr. 1 Buchst. g Var. 1 IFG. Die Frage hingegen, welche Anforderungen an eine Darlegung nachteiliger Auswirkungen auf ein konkretes Schiedsverfahren zu stellen sind, betrifft demgegenüber den Einzelfall und entzieht sich einer allgemeinen Klärung.

19 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.